Spätfolgen von COVID-19: Coronavirus kann das Herz angreifen
Selbst eine mild verlaufende COVID-19-Infektion kann das Herz laut Studien dauerhaft beeinträchtigen, auch wenn die Infektion scheinbar überstanden ist. Was wir darüber wissen und was das für Patienten bedeutet, erklärt Dr. med. Frank Misselwitz im Interview.
Herr Misselwitz, was ist bisher über Schäden am Herzen nach Covid-19 bekannt?
Wir wissen inzwischen, dass das Coronavirus fast alle Organe schädigen kann – auch das Herz. Forscher am Universitätsklinikum Frankfurt haben im Juli 100 Corona-Patienten etwa zwei Monate nach einer akuten COVID-19-Infektion nachuntersucht und MRT-Aufnahmen ihrer Herzen angefertigt. Was sie sahen, war unerwartet: 78 Prozent der Teilnehmer zeigten schwere Veränderungen des Herzmuskels. Und zwar unabhängig davon, ob sie zuvor schwer erkrankt waren oder nur leichte Symptome zeigten, die sie zuhause auskurierten. Das bedeutet: Auch nach überstandener Infektion, müssen Patienten vorsichtig sein – denn völlig gesund sind sie womöglich noch lange nicht.
Wie sehen die Veränderungen des Herzmuskels aus?
Als typische Veränderungen im Kernspin zeigten sich Narben im Herzgewebe. Das Coronavirus kann Entzündungen in den Gefäßen aller Organe auslösen – auch im Herzen. Wenn diese Entzündungen dann abheilen, kann es zu fibrotischen Veränderungen, d.h. Narbenbildung kommen. Diese führt dann dazu, dass die Organfunktion eingeschränkt ist bzw. das Herz weniger Blut pumpt. Damit ist es auch weniger belastungsfähig und es kann sich eine Herzinsuffizienz und das Vollbild einer viralen Herzmuskelentzündung entwickeln.
Ist das von anderen Viruserkrankungen bekannt?
Ja, wir wissen von anderen Viruserkrankungen, dass sie aufs Herz schlagen können. Zum Beispiel die Grippe: Auch da kommt es zum Teil, wenn sie nicht richtig ausbehandelt wird, zu einer Schädigung des Herzens bzw. einer Herzmuskelentzündung.
Was sind die Symptome einer solchen Herzmuskelentzündung?
Patienten, die die COVID-19-Infektion scheinbar überstanden hatten, klagten darüber, dass sie körperlich nicht belastbar waren, schnell ermüdeten und Luftnot hatten – etwa beim Treppensteigen. Einige wenige hatten Brustschmerzen oder spürbares Herzklopfen.
Natürlich ist es normal, dass man sich nach einer solchen Erkrankung zunächst einmal schlapp fühlt. Und die Herzschäden sind glücklicherweise auch kein Breitenphänomen, weil nicht jeder, der sich mit dem Virus infiziert, tatsächlich auch erkrankt. Aber wenn man merkt, dass eine gewisse Erschöpfung schon mehrere Wochen anhält und es einfach nicht besser wird, dann ist das sicherlich ein Punkt, den man medizinisch abklären sollte. Gerade weil wir eben auch gesehen haben, dass sich eine Infektion unabhängig von der Schwere, bestehenden Vorerkrankungen und Alter der Patienten langfristig im Herzen manifestieren kann.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Eine Regel gilt immer: Betroffene sollten sich schonen und körperliche Belastung vermeiden. Sport ist für mehrere Monate tabu. Und auch körperliche Arbeit kann der Heilung schaden. Wie lange eine Herzmuskelentzündung dauert, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Wir wissen von anderen viralen Herzmuskelentzündungen, dass die Erkrankungsphase sehr lang ist, sich aber schrittweise wieder normalisieren kann. Allerdings kann das unter Umständen ein, zwei oder sogar drei Jahre dauern.
Wir bei Bayer beschäftigen uns natürlich intensiv damit, wie wir die Spätfolgen von COVID-19 behandeln können. Als kardiovaskuläres Unternehmen haben wir eine Verpflichtung gegenüber den Patienten. Wir prüfen etwa, ob Medikamente aus unserem Portfolio zum Nutzen der Patienten eingesetzt werden können. Zum Beispiel haben wir ein Arzneimittel, das Einfluss auf die Narbenbildung haben könnte. Aber wie gesagt: Das ist derzeit noch ein zu erforschendes Feld.
Daneben sind wir auch in der Radiologie sehr aktiv: Wir arbeiten beispielsweise daran, mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Auswertung radiologischer Bilder und die Diagnose zu verbessern.
Gibt es Möglichkeiten, sich vor solchen Spätfolgen von COVID-19 zu schützen?
Ein entscheidender Punkt ist sicherlich die Verringerung der Viruslast. Wir beobachten immer wieder, dass Patienten, die nur eine leichte Viruslast abbekommen haben und ansonsten ein gesundes Immunsystem haben, mit der Erkrankung ganz gut umgehen können. Umgekehrt sehen wir auch, dass Patienten zum Beispiel durch körperliche Nähe oder das Fehlen einer Maske die volle Viruslast abbekommen. Das kann ein gesundes Immunsystem dann unter Umständen nicht mehr verkraften. Deshalb gilt: Selbst eine einfache Maske hilft, die Viruslast zu mindern und einen schweren Krankheitsverlauf zu vermeiden.
Über Dr. Frank Misselwitz
Bevor Frank Misselwitz in der Arzneimittel-Forschung bei Bayer tätig wurde, arbeitete er mehr als zehn Jahre als Arzt an Universitätskliniken und betreute Patienten im Rahmen einer Blutgerinnungs-Sprechstunde. Ab 2002 war er bei Bayer als Leiter der klinischen Entwicklung maßgeblich an der Entwicklung des innovativen Blutgerinnungshemmers Rivaroxaban (Markenname Xarelto) beteiligt. Dafür erhielten er und sein Team 2009 den Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten. Ab 2005 leitete er den Therapiebereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ist heute als Executive Scientist für Bayer tätig.