Chronische Erschöpfung muss nicht sein
Permanent müde, ausgelaugt, antriebslos – so fühlen sich viele Krebspatientinnen und Krebspatienten. Besonders häufig tritt diese extreme Erschöpfung, auch Fatigue genannt, bei Männern mit Prostatakrebs auf. Drei von vier Patienten mit einem Prostatakarzinom leiden unter diesen Symptomen und nehmen sie immer noch viel zu oft als scheinbar logische Folge ihrer Erkrankung und der damit einhergehenden Behandlung hin. Warum das nicht so sein muss und was Patienten tun können, darüber sprachen wir mit Frank Verholen, Leiter des urogenitalen Bereichs bei Global Medical Affairs Oncology von Bayer.
Herr Verholen, was ist Fatigue eigentlich genau – wie macht sie sich bemerkbar?
Krebsbezogene Fatigue ist im Grunde ein unverhältnismäßiger Erschöpfungszustand. Die Patienten leiden unter permanenter Müdigkeit und Antriebslosigkeit, jedoch lässt sich dieser Zustand nicht durch ausreichend Schlaf und Ruhe verbessern und kann den Alltag wirklich erheblich belasten. Selbst alltägliche Dinge wie Duschen oder sich Anziehen können den Patienten schwerfallen und natürlich sind auch soziale Aktivitäten davon beeinflusst. Viele der betroffenen Patienten haben zudem Schwierigkeiten, neue Informationen zu verarbeiten oder Entscheidungen zu treffen.
Was ist die Ursache für Fatigue und warum leiden insbesondere Männer mit Prostatakrebs darunter?
Es gibt drei wesentliche Komponenten, die zur Fatigue beitragen: Das eine ist die Krankheit selbst und ihr Fortschreiten. Das zweite ist das psychische Wohlbefinden, das verständlicherweise unter einer Krebsdiagnose und damit einhergehenden Ängsten und Sorgen leidet. Es ist normal, dass dann eine reaktive Depression auftritt, auch wenn sie unterschiedlich ausfallen kann. Drittens spielt die Art der Therapie eine Rolle – eine Chemotherapie zum Beispiel kann dem Körper viel Kraft abverlangen.
Beim Prostatakrebs kommt noch hinzu, dass ein Teil der Basisbehandlung darauf abzielt, Testosteron zu senken, denn das Testosteron treibt das Wachstum des Prostatakarzinoms wesentlich an. Testosteron fördert aber auch die Produktion roter Blutkörperchen. Wenn die Männer nun eine Hormonbehandlung gegen Prostatakrebs erhalten, entsteht durch die Absenkung des Testosterons eigentlich immer ein Blutmangel und dieser ist eine der Ursachen für Fatigue. Zusätzlich zur Basisbehandlung werden jedoch zumeist weitere krebshemmende Medikamente gegeben und einige von ihnen können diese Fatigue zusätzlich steigern. Die Erschöpfung kann die Lebensqualität der Betroffenen so beeinträchtigen, dass ein Teil der Patienten die Therapie deswegen abbricht. Es gibt aber Alternativen, mit denen die Patienten ihren Alltag in der Regel wie gewohnt ohne negative Beeinflussung durch die Therapie fortführen können.
Was denken Sie, warum brechen Patienten die Therapie eher ab, als dass sie sich Hilfe suchen?
Obwohl es den Patienten zum Teil nicht sehr gut geht, halten sie diesen Zustand häufig für normal. Die Denkweise „Ich habe Krebs, ich bekomme eine Behandlung, natürlich geht es mir schlecht“ entsteht oft aus der Erfahrung, die die Patienten mit Angehörigen früherer Generationen gemacht haben als es noch nicht viele der modernen Behandlungsmöglichkeiten gab, das heißt, dass sich schon eine gewisse negative Erwartungshaltung an eine Krebstherapie eingestellt hat. Dementsprechend wird die Fatigue oftmals nicht als Nebenwirkung der Behandlung erkannt und deshalb sprechen die Patienten ihre Ärzte auch nicht darauf an – obwohl es sie so sehr belastet.
Inwiefern können denn moderne Therapien zur Erhaltung der Lebensqualität von Prostatakrebspatienten beitragen – was unterscheidet sie von früheren Behandlungen?
In den vergangenen Jahren haben sich gerade in der Prostatakrebstherapie Fortschritte stattgefunden. Heute kann die Behandlung ambulant durchgeführt werden, weil man die Medikamente in der Regel oral, also als Tabletten oder Kapseln, einnimmt. Krankenhausbesuche sind nur für einen Teil der Behandlungsmöglichkeiten oder radiologischen Untersuchungen notwendig.
Zudem hat sich auch das Nebenwirkungsprofil deutlich verbessert. Die Erkrankung kann mittlerweile effizient behandelt werden, ohne dass die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigt wird. Bei Bayer forschen wir im Bereich Prostatakrebs und haben für verschiedene Stadien der Erkrankung Medikamente entwickelt, die zum Ziel haben, nicht nur die Lebenszeit zu verlängern, sondern dabei auch die Lebensqualität zu erhalten.
Wie sollten sich Patienten verhalten, wenn sie glauben unter Fatigue zu leiden?
Wer sich nicht sicher ist, ob es sich wirklich um Fatigue handelt, sollte den Vergleich zum Zustand vor der Behandlung ziehen: Fatigue als Nebenwirkung der Therapie zeigt sich dadurch, dass die Patienten sich mit weniger Dynamik und Energie als vor der Behandlung fühlen. Prostatakrebs ist eine langsam fortschreitende Krankheit, dass man sich nach dem Termin beim Arzt beziehungsweise mit Beginn der Behandlung wegen der Erkrankung schwach fühlt, ist also unwahrscheinlich.
Auch die Angehörigen können hier unterstützen. Sie sollten aufmerksam sein und den Patienten aktiv auf Veränderungen ansprechen. „Früher hast du dieses oder jenes gemacht – warum machst du das nicht mehr?“ Das macht dem Patienten vielleicht noch einmal deutlicher, dass Handlungsbedarf besteht.
Auf jeden Fall sollten die Patienten unbedingt mit ihrem Arzt sprechen, wenn sie unter Erschöpfung leiden – egal wie ausgeprägt sie ist. Er muss wissen, dass es dem Patienten mit der Behandlung nicht gut geht – nur so kann er nach passenden Therapiealternativen suchen.
Gibt es denn Möglichkeiten, etwas gegen Fatigue bei Prostatakrebs zu tun?
Ja, auch wenn es gerade bei Fatigue schwerfällt, sich aufzuraffen: regelmäßige Bewegung ist sehr wichtig. Auch eine ausgewogene Ernährung hat einen positiven Einfluss.
Außerdem sollten Patienten, aber auch ihre Angehörigen, sich auf jeden Fall gut über die Erkrankung und Behandlungsmöglichkeiten informieren. Mit diesem Wissen fällt es Patienten viel leichter ihrem Arzt ihren Zustand zu schildern und mögliche Therapiealternativen zu diskutieren, die ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenssituation am besten entsprechen.
Um Patienten zu unterstützen, ihre Erkrankungen besser zu verstehen, haben wir bei Bayer begonnen, wissenschaftliche Inhalte so aufzubereiten, dass sie auch für Laien verständlich sind. Wir veröffentlichen beispielsweise Informationen über neue Zulassungsstudien jetzt auch in leicht verständlicher Sprache. Wir stellen außerdem Patientenpublikationen zur Verfügung, in denen Patienten, die selbst an einer Studie teilgenommen haben, über ihre Erfahrungen berichten. Aber auch viele Patientenorganisationen stellen Informationen zur Verfügung.
Gibt es noch etwas, das Sie Patienten mit auf den Weg geben möchten?
Ja: ich möchte betonen, dass der Patient selbst eine große Rolle spielt, wenn es darum geht, die bestmögliche Therapie für ihn zu finden. Er sollte wissen, wie wichtig es ist, dass er richtig in sich hineinhorcht und dass der größte Wissensschatz bei ihm liegt! Nur wenn er seine Beschwerden und Bedürfnisse mit dem Arzt teilt, kann dieser die bestmögliche Therapieentscheidung treffen.
Prostatakrebs ist gut behandelbar. Und dabei geht es längst nicht mehr nur darum, die Lebensdauer zu verlängern – mit modernen Therapien kann auch die Lebensqualität erhalten bleiben.
Über Frank Verholen
Frank Verholen hat der Ruhr-Universität-Bochum Medizin studiert and hat dort auch seine Doktorarbeit absolviert. Anschliessend hat er mehr als 10 Jahre in den Unikliniken Genf gearbeitet, an denen er seine Kenntnisse für die Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin sowie Facharzt für Hämatologie erworben hat. Dr. Verholen war zunächst in verschiedenen Positionen in der Pharmaindustrie in der Schweiz und Deutschland sowie europaweit tätig, bevor er 2016 bei Bayer die weltweite medizinische Verantwortung für Radium-223 übernahm. Seit einigen Jahren leitet er in der Bayer Oncology Business Unit die medizinische Abteilung für den urogenitalen Bereich, zu welchem auch das Prostatakarzinom gehört.
Über Prostatakrebs bei Bayer
Bayer hat sich Science for a better Life verschrieben, indem es ein Portfolio innovativer Behandlungen vorantreibt. Das Unternehmen fokussiert sich auf die Entwicklung neuer Medikamente, die dazu beitragen, das Leben von Menschen mit Krebs zu verbessern und zu verlängern. Prostatakrebs ist die zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern und ein Schwerpunktthema für Bayer. Das Portfolio des Unternehmens umfasst zwei Prostatakrebsmedikamente auf dem Markt und mehrere Wirkstoffe in der Entwicklung. Bayer konzentriert sich darauf, auf die besonderen medizinischen Bedürfnisse von Prostatakrebspatienten einzugehen, indem wir ihnen Behandlungen anbieten, die ihr Leben in den verschiedenen Stadien der Krankheit verlängern und ihnen ermöglichen, ihre täglichen Aktivitäten fortzusetzen, damit sie sowohl länger als auch besser leben können.