Interview mit Marco Annas

„Wir legen höhere Maßstäbe an den Einsatz gegen den Klimawandel an“

A man is holding a globe in his hands.

Bayer veröffentlicht seinen ersten Bericht zur Klimaposition der Industrieverbände

Im November 2019 verpflichtete sich Werner Baumann in einem Brief an die Investorengruppe Climate Action 100+ dazu, eine stärkere Unterstützung der Dekarbonisierung durch eine Wirtschaftskoalition anzuführen. Er kündigte darüber hinaus an, dass Bayer seine Unterstützung von Branchenverbänden von deren Einstellung gegenüber wissenschaftsbasierten Maßnahmen zum Klimawandel abhängig machen würde. Als ersten Schritt in diesem Prozess hat Bayer nun seinen ersten Bericht dazu, den Industry Association Climate Review, veröffentlicht. Derzeit ist geplant, im Jahr 2023 eine erneute umfassende Bewertung durchzuführen. Außerdem wird im 4. Quartal 2022 eine vorläufige Aktualisierung des Engagements und festgestellter wesentlicher Fehlausrichtungen durchgeführt.

Marco Annas

Wir haben mit Marco Annas, Global Vice President Public Affairs, über die Bemühungen von Bayer, Branchenverbände zu bewerten und für klimafreundliche Maßnahmen zu gewinnen, gesprochen. 

„Wir freuen uns sehr über die Veröffentlichung des ersten Industry Association Climate Review von Bayer. Die Ergebnisse belegen, dass sich mehr als die Hälfte der bewerteten Organisationen nicht klar zu klimabezogenen Themen positionieren. Sie bekräftigen gleichzeitig die entscheidende Bedeutung des Engagements von Unternehmen zu diesem Thema, um eine Fehlausrichtung zwischen Rhetorik und Handeln zu vermeiden. Durch den kontinuierlichen Dialog im Rahmen von Climate Action 100+ hat Bayer seine Offenheit für das Feedback von Investoren und sein Engagement gezeigt, eine wissenschaftsbasierte Klimapolitik zu unterstützen und dafür einzutreten. Union Investment freut sich auf die weitere Zusammenarbeit mit Bayer bei der verstärkten Ausrichtung auf den Climate Action 100+ Net-Zero Company Benchmark.“


Janne Werning, Leiter ESG Capital Markets and Stewardship, Union Investment, Investment Lead CA100+

Herr Annas, was tut Bayer, um dem Klimawandel Herr zu werden? 


Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2050 oder früher bei den Treibhausgasemissionen entlang unserer Wertschöpfungskette eine Netto-Null-Bilanz zu erreichen. Mittelfristig wollen wir bis 2030 Klimaneutralität in unseren Geschäftstätigkeiten umsetzen. Und wir gehen noch weiter. Bayer hat darüber hinaus auch zugesagt, andere, beispielsweise Landwirte, mit seinen Lösungen zu unterstützen. Unser politisches Engagement konzentriert sich also auf Klimapolitik, die den Weg hin zu einer Netto-Null-Bilanz bei den Emissionen unterstützt. Mit dem Industry Association Climate Review legen wir noch höhere Maßstäbe an unseren Einsatz gegen den Klimawandel an.

 
Welche Rolle spielen Branchenverbände? 


Die Klimakrise ist eine globale Herausforderung von höchster Relevanz. Deswegen arbeiten Regierungen weltweit an Plänen, um die globale Erderwärmung im Einklang mit dem Pariser Abkommen auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Es überrascht dabei nicht, dass die Klimapolitik ein politisches Schlachtfeld mit einem breiten Spektrum gegensätzlicher Interessen ist. Branchenverbände sind wichtige Teilnehmer dieser Diskussionen. Wir wollen beim Klimaschutz international führend sein. Das prägt unser politisches Engagement, und wir erwarten von den Branchenverbänden, dass sie im Einklang mit unseren Verpflichtungen handeln.


Was umfasste die Prüfung und wie sehen die weiteren Maßnahmen aus?


Ein erster Schritt besteht darin, unsere Positionen zur Klimapolitik und entsprechende Ansätze zu veröffentlichen. Darüber hinaus untersuchen wir die Positionen in der Klimapolitik und entsprechende Aktivitäten der Branchenverbände, in denen wir Mitglied sind. Um sicherzustellen, dass alle relevanten Verbände bewertet und anhand derselben Maßstäbe gemessen werden, haben wir eine Bewertungsmethode und einen detaillierten Rahmen zum Umgang mit Abweichungen entwickelt. Dazu gehören auch Eskalationsschritte. Die Ausrichtung der Verbände bewerten wir anhand verschiedener Faktoren.


Was die Klimapolitik anbelangt, haben wir uns explizit die Unterstützung des Pariser Abkommens und seiner Ziele, Wege zu Netto-Null zu finden, und die politischen Ansätze, die dazu führen sollen, angeschaut. Außerdem haben wir untersucht, inwiefern die Branchenverbände Bayers zentrale Klimapositionen unterstützen.


Außerdem haben wir untersucht, inwiefern die Branchenverbände Bayers zentrale Klimapositionen unterstützen.

„Die Church Commissioners begrüßen den ersten Industry Association Climate Review von Bayer und das Engagement für Climate Action 100+. Das Engagement von Bayer für Transparenz und sein Engagement bei Verbänden, die die Klimaziele nicht oder nur teilweise unterstützen, werden geschätzt und wir freuen uns auf greifbare Ergebnisse. Wir begrüßen auch das Bestreben von Bayer, mit einschlägigen Organisationen zusammenzuarbeiten, die derzeit keine Klimaposition einnehmen, um Positionen zu entwickeln, die den Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft in der Weltwirtschaft unterstützen. Die Church Commissioners werden sich weiterhin mit Bayer in Umweltfragen austauschen und unseren anhaltenden konstruktiven Dialog schätzen.“


Bess Joffe, Head of Responsible Investment, Church Commissioners for England, Investment Lead CA100+

Da Sie sich aber Verbände in aller Welt anschauen, werden Abweichungen hier nicht überraschend sein. Können Sie uns etwas mehr zu den Eskalationsschritten sagen; was passiert bei Abweichungen?


Anteilseigner, aber auch andere Stakeholder, haben die klare Erwartung, dass Unternehmen in Einklang mit ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen handeln. In der Vergangenheit stimmten die Ansätze in der Lobbyarbeit nicht immer mit diesen Verpflichtungen überein. Es wird insofern mit zweierlei Maß gemessen, als dass die Unternehmen ihre positiven sozialen und ökologischen Aktivitäten immer stärker positionieren, während von den Verbänden erwartet wird, dass sie den Status quo verteidigen. 


Unsere erste Bewertung umfasste 65 Wirtschaftsverbände in vier verschiedenen Bereichen (Chemie, Landwirtschaft, Gesundheit und branchenübergreifend) in 18 Ländern in der EU und weltweit. Wenn Diskrepanzen zwischen den Klimapositionen und -zielen Bayers und denen eines Verbands zutage treten, suchen wir zunächst den Kontakt. In enger Zusammenarbeit mit den globalen Bayer-Teams leiten Policy-Teams in dem Markt des jeweiligen Verbands diesen Prozess, um zu untersuchen, zu verstehen, Kontakt aufzunehmen, zu bewerten und Einfluss auszuüben. Wenn dieser Prozess keine zufriedenstellende Veränderung der jeweiligen Positionen bewirkt, oder wenn wir feststellen, dass eine Anpassung vermutlich zu keinem harmonisierten Ansatz führen wird, müssen wir miteinander reden. Dieser Schlichtungsprozess läuft über mehrere Stufen und könnte letztendlich auch mit dem Austritt von Bayer enden.


Ein beeindruckendes Projekt! Haben auch schon andere Unternehmen ihre Verbände in diesem Maße untersucht?


Wir sind zwar nicht das erste Unternehmen, das einen solchen Prozess anstößt, werden aber dennoch neue Maßstäbe setzen, schon indem wir über energieintensive Sektoren hinaus gehen und Landwirtschaft und Gesundheitswesen mit einbeziehen. Bayer ist also das erste Unternehmen, das eine solche Analyse im Bereich der Landwirtschaft und der Pharmaindustrie durchführt. In diesen Branchen sind viele Verbände eher spezialisiert und die Klimapolitik wird nicht als Kernthema verstanden. Das hat sich in unserer Untersuchung auch bestätigt. Unser Ziel besteht darin, den Bericht und seine Erkenntnisse dazu zu nutzen, intensivere Diskussionen über Positionen zum Klimawandel anzustoßen.


Der Bericht ist jetzt fertig. Gibt es wichtige Ergebnisse und Handlungsbedarf seitens Bayer?


Insgesamt haben wir herausgefunden, dass die meisten Verbände, mit denen wir zusammenarbeiten, keine expliziten Positionen zum Pariser Abkommen formuliert haben. Viele haben sich aber zur Bedeutung des Klimawandels geäußert. Wir sehen dies als Chance, unsere Führungsrolle in diesem Bereich zu stärken, indem wir dieses wichtige Thema zielgerichteter angehen. Von den untersuchten Unternehmen standen bei 31 Prozent die Positionen im Einklang mit denen von Bayer und 54 Prozent bezogen zu den Kernthemen unseres Unternehmens keine öffentliche Position.


Nur eine kleine Minderheit von 12 Prozent wurde als teilweise abweichend von Bayers Positionen oder bestimmten Aspekten des Pariser Abkommens eingeordnet. In wenigen Einzelfällen standen Verbände erheblich im Widerspruch zu gewissen Positionen Bayers; das wird nun Gegenstand unserer laufenden Gespräche mit diesen Verbänden sein. 


Welche abweichenden Positionen sind Ihnen bei diesen Fällen besonders aufgefallen? 


Diskrepanzen gab es beispielsweise bei dem Weg zur Netto-Null-Bilanz, den Mitteln, mit denen sie erreicht werden soll, und dem Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030. Verschiedene Positionen gab es auch im Bereich Technologien und Innovationen, bei der Senkung der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft um 30 Prozent und bei den Klimamaßnahmen innerhalb eines regelbasierten Handelssystems. Auf Grundlage des anvisierten Eskalationsprozesses ist die Priorität von Bayer, sich mit diesen Verbänden zum Klimawandel und unseren Verpflichtungen auseinanderzusetzen. In einem ersten Schritt werden die Länderteams für Public Affairs die Abweichungen ansprechen, um die Beweggründe für die jeweiligen Verbandspositionen zu verstehen, und Möglichkeiten auszuloten, sie stärker an unsere eigenen Positionen anzugleichen.


Was sind ihre langfristigen Pläne? Werden Sie weiterhin die Positionen Ihrer Branchenverbände analysieren? 


Dieser Bericht ist der Anfang einer regelmäßigen Berichterstattung. Eine umfassende Neubewertung ist für 2023 geplant. In der Zwischenzeit stehen wir in ständigem Kontakt mit unseren Verbänden, überprüfen unsere Ergebnisse regelmäßig und informieren dann auch über die Fortschritte. Es geht hier aber nicht nur um Prozesse und Berichte. Wir befinden uns wahrscheinlich in dem letzten Jahrzehnt, in dem wir zur Begrenzung der Erderwärmung noch effektive Maßnahmen einleiten können. Es ist also wichtig, jetzt zu handeln, und wir wollen als Privatunternehmen unseren Beitrag leisten.

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