Krebs

Krebsbehandlung damals und heute – von der Kräuter- zur Präzisionsmedizin

Two people in lab coats looking at a piece of paper.

Krebs ist und bleibt eine der größten Geißeln der Menschheit. Wie wir ihn bekämpfen, spiegelt auch die Weiterentwicklung unseres medizinischen Wissens wider. Aber wie hat sich die Behandlung im Laufe der Zeit verändert?

Krebs ist mittlerweile die zweithäufigste Todesursache weltweit – eine Krankheit, von der insgesamt mehr als 32 Millionen Menschen betroffen sind1 und deren Verbreitung in den nächsten 20 Jahren laut Prognosen um bis zu 70 % zunehmen wird2. Der schleichende Anstieg im vergangenen Jahrhundert ist der Grund, warum Krebs häufig als relativ neues Leiden angesehen wird. Als eine Folge unserer modernen industriellen Welt.


Doch das Gegenteil ist der Fall: Wissenschaftler haben Belege für Krebs gefunden, die über 1 Million Jahre alt sind. Das Alter des Tumors im Fußknochen eines prähistorischen Südafrikaners wurde auf mindestens 1,7 Millionen Jahre datiert. Wie Siddhartha Mukherjee in seinem Buch „Der König aller Krankheiten“ schreibt: „Die Zivilisation ist nicht schuld am Krebs, doch durch die höhere Lebenserwartung des Menschen hat sie ihn enthüllt.“


Auch die Therapien haben sich im Lauf der Zeit drastisch verändert, da sie sich mit unserem Wissen über die Funktionsweise des menschlichen Körpers weiterentwickelten. Bei der Geschichte der Krebsbekämpfung steht immer der Einsatz der neuesten medizinischen Fortschritte der jeweiligen Zeit im Mittelpunkt. Momentan betreten wir die möglicherweise bisher spannendste Phase dieses langen Kampfes.


Doch der Reihe nach.

 

Krebs in der Antike

Die erste dokumentierte Krebserkrankung gab es im Alten Ägypten. Sie findet sich im Papyrus Edwin Smith3, dem weltweit ältesten bekannten Dokument zu chirurgischen Verfahren, das auf ca. 1600 v. Chr. datiert ist. Es enthält einen Hinweis auf Brustkrebs und beschreibt hervorstehende kugelähnliche Tumore auf der Brust, die sich kalt anfühlen. Als Behandlung nennt der Papyrus die Verwendung eines „Feuerstabs“, um nicht identifizierte Tumore auszubrennen.


Es war Hippokrates (460–360 v. Chr.)4, der Vater der Medizin, der diese Tumore erstmals benannte. Er verwendet das Wort „karkínos“ (griechisch für „Krebs“) für eiternde und nicht verheilende Knoten und das Wort „karkínoma“ für bösartige Tumore. Man nimmt an, dass die Namensgebung auf der Festigkeit eines tumorösen Knotens beruht, dessen Aussehen in Kombination mit den geschwollenen Blutgefäßen um ihn herum an Krebsbeine erinnert.


Hippokrates glaubte, dass ein Ungleichgewicht der vier wichtigsten Körperflüssigkeiten bzw. -säfte (Blut, Phlegma, gelbe und schwarze Galle) Krankheiten verursacht. Für Krebs machte er eine zu hohe Konzentration schwarzer Galle im Fleisch verantwortlich und schlug Diät, Ruhe und Bewegung zur Behandlung des Ungleichgewichts vor. Sollte dies keinen Erfolg bringen, so plädierte er für abführende Mittel und gegebenenfalls eine Operation, falls das Karzinom nicht „zu tief saß“.


Hippokrates’ Theorie der schwarzen Galle wurde vom Alten Griechenland ins Alte Rom und in die Schriften seines wohl bekanntesten Nachfolgers, Galen von Pergamon (129–216), überliefert5. Galens Klassifizierung von Tumoren und seine Sicht auf die Ursachen von Krebs prägten die Medizin mehr als 1.500 Jahre. Er verwendete das Wort „oncos“ (griechisch für „Masse“ oder „Schwellung“), um Tumore zu beschreiben, weshalb wir die Untersuchung und Behandlung von Krebs als „Onkologie“ bezeichnen.

 

Vom Mittelalter bis zur Neuzeit

Nach dem Untergang des Römischen Reiches wurden viele Erkenntnisse von Hippokrates und Galen von der Medizin des Mittelalters – einer Mischung aus lokaler Folklore, Kräuterkunde und religiöser Dogmen, die mehr auf Heilen durch Glauben und Wunder setzte als auf Operationen – zurückgelassen.


Auch wenn schwarze Galle noch immer als Hauptursache von Krebs angesehen wurde, nahmen die Behandlungen häufig die Form seltsamer Gebräue an. Von Salben aus Froschöl bis hin zu Elixieren aus Kräutern, Krebspulver und sogar einer Wolfszunge.


Das änderte sich zu Beginn der Renaissance und der Erfindung von Gutenbergs Druckpresse im Jahr 1450. Nun konnten die bekannten medizinischen Werke aus Griechenland, Rom und Arabien übersetzt und in ganz Europa verbreitet werden. Zusammen mit den Beobachtungen und ausführlichen anatomischen Zeichnungen von Antonio Benivieni (1443–1502), Michelangelo (1475–1564) und Andreas Vesalius (1514–1564) trugen sie dazu bei, dass sich unsere Kenntnis der menschlichen Anatomie und im Gegenzug unsere Herangehensweise an Operationen von Grund auf änderte.


Zu Beginn des 17. Jahrhunderts veröffentlichte der „Vater der deutschen Operationstechnik“, Wilhelm Fabricius6, ausführliche Berichte seiner Methoden, einschließlich umfangreicher Krebsoperationen. Und im Verlauf der nächsten 200 Jahre wurde dieser klinische Ansatz an die Medizin immer mehr zum Standard. Die Theorie der schwarzen Galle und die Bader wichen wissenschaftlicher Beobachtung, klinischen Daten und pathologischen Fallstudien.


Das 19. Jahrhundert war das goldene Zeitalter der Chirurgie. Desinfektion und Sterilisation setzten sich immer weiter durch und 1846 demonstrierte William Morton7 erfolgreich den Einsatz der Narkose bei Operationen. Dadurch konnten wegbereitende Chirurgen wie William Halsted immer radikalere Operationen an verschiedenen Krebsarten durchführen, beispielsweise Mastektomien, damit der Tumor nicht streuen konnte.


Zur selben Zeit ermöglichte es uns die mikroskopische Untersuchung von Tumoren, dem Verstehen der Krebsentstehung immer näher zu kommen. Wissenschaftler wie Johannes Müller (1801–1858) und Robert Remak (1815–1865) stellten fest, dass Krebs aus bestimmten Zellarten besteht und dass Metastasen durch die Ausbreitung dieser Zellen entstehen.

 

Die Geschichte der Krebsbehandlung

Das 20. Jahrhundert im Zeichen der Veränderung

Im November 1895 entdeckte der Physiker Wilhelm Röntgen die Röntgenstrahlung. Innerhalb weniger Monate kauften und verwendeten Krankenhäuser in aller Welt das bildgebende Diagnosegerät. Sie stellten fest, dass die verursachte Strahlung tatsächlich verschiedene Hautleiden heilen konnte. Zur Jahrhundertwende wurden Röntgenstrahlen immer häufiger zur Krebsbehandlung eingesetzt8.


Die Strahlentherapie bei Krebs war entstanden. Doch die Vorteile des Verfahrens wurden durch die Nebenwirkungen aufgehoben – die Strahlung selbst war auch krebserregend. Im Verlauf der nächsten 50 Jahre verstanden die Wissenschaftler allmählich das Wesen der Strahlung, ihre Wirkung auf die Zellen und sicherere Einsatzmöglichkeiten. Ende des 20. Jahrhunderts konnten Wissenschaftler dank Fortschritten bei Computertechnik und Strahlenphysik Ort und Form kleiner Tumore genau zuordnen und dann die Strahlung präzise darauf richten. Auch Intensität und Dosis ließen sich anpassen, um das Ergebnis zu optimieren. Darüber hinaus werden mittlerweile neuere Formen strahlenaussendender Medikamente entwickelt, die Krebszellen mit energiereicher Strahlung bekämpfen und dabei den Schaden für das umliegende Gewebe gering halten.


Neben Operation und Strahlentherapie hatte das 20. Jahrhundert ein weiteres Standbein beim Kampf gegen den Krebs – antitumoröse Medikamente bzw. die Chemotherapie. Die ersten dieser Arzneien waren die Loste, bekannter unter dem Namen Senfgas – das Gift, das in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs verheerende Folgen hatte.


Im Zweiten Weltkrieg entdeckte die US-Armee, dass eine der größten Auswirkungen von Senfgas auf betroffene Soldaten eine Reduzierung der weißen Blutkörperchen (Lymphozyten) war9. Auf der Suche nach Schutzmaßnahmen vor dem Gas fanden sie heraus, dass Loste eine positive Wirkung bei Lymphdrüsenkrebs (Lymphom) hatten, da sie ebendiese Zellen angriffen.

 

An diesem Vorbild orientierten sich die Chemotherapeutika, die kurz darauffolgten. Das Wettrennen um die Entwicklung anderer Medikamente, die auf Zellen in verschiedenen Entwicklungsphasen abzielten, hatte begonnen. Da sich Krebszellen in der Regel schneller als normale Zellen vermehren, können Chemotherapeutika die Ausbreitung des Krebses eindämmen. Doch da sie nicht zwischen gesunden und tumorösen Zellen unterscheiden, verursachen sie erhebliche Nebenwirkungen.


Darum konzentrierten sich die Onkologen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Ergänzungstherapien. Hier werden Behandlungen kombiniert, um sowohl den Tumor zu entfernen als auch die restlichen Krebszellen zu zerstören.

 

Eine Präzisionszukunft

Während Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie nach wie vor die wichtigsten Waffen gegen den Krebs sind, verändern neueste Erkenntnisse über den Krebs auf Molekularebene unsere Herangehensweise von Grund auf.


Wir wissen jetzt, dass Krebs hochdifferenziert ist (er besteht aus Hunderten verschiedenen Arten)10, sich auf jeden Patienten anders auswirkt und sich häufig im Krankheitsverlauf verändert.


Genomische Tests helfen dabei, die DNA-Veränderungen zu identifizieren, die das Wachstum eines Krebstumors antreiben. Wenn Ärzte und Forscher dies verstehen, können sie möglicherweise genauer vorhersagen, welche Behandlungen bei welchen bestimmten Gruppen von Krebspatienten wirken werden.


Screenings, frühzeitige Diagnostik und genomische Krebstests sind für eine erfolgreiche Therapie immer wichtiger geworden, sodass Onkologen eine wachsende Anzahl von Behandlungen einsetzen können, um den spezifischen Tumor eines Patienten genauer zu bestimmen.


Von maßgeschneiderten Behandlungen, die auf bestimmte Signalwege in der Zelle oder auf bestimmte Strukturen auf der Zelloberfläche abzielen, bis hin zur Aktivierung des körpereigenen Immunsystems - in der Zukunft der Krebsbehandlung geht es darum, für jeden einzelnen Patienten die optimale Versorgung zu finden. Weit entfernt von Abführmitteln und Elixieren.


1 More than 32 million people globally were living with cancer in 2012, The Cancer Atlas, http://canceratlas.cancer.org/the-burden/cancer-survivorship/
2 Stewart, B. et al. World Cancer Report 2014, WHO, https://www.drugsandalcohol.ie/28525/1/World%20Cancer%20Report.pdf
3 Breasted J. The Edwin Smith Surgical Papyrus, University of Chicago, https://oi.uchicago.edu/sites/oi.uchicago.edu/files/uploads/shared/docs
4 Tsoucalas G, et al. Hippocrates on nasal cancer, History of Oncology, University of Thessaly, https://pdfs.semanticscholar.org/5c46/05c9471d1b3ba1436e37771fa13a44d40…
5 Papavramidou, N, et al. Ancient Greek and Greco–Roman Methods in Modern Surgical Treatment of Cancer, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2820670/ 
6 The history of cancer in the College collections, Royal College of Physicians of Edinburgh, https://www.rcpe.ac.uk/heritage/history-cancer-college-collections
7 History of Anesthesia, Wood Library-Museum of Anesthesiology,
https://www.woodlibrarymuseum.org/history-of-anesthesia/
8 Evolution of Cancer Treatments: Radiation, The American Cancer Society, https://www.cancer.org/cancer/cancer-basics/history-of-cancer/cancer-treatment-radiation.html
9 Faguet G, A brief history of cancer,
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ijc.29134
10 About rare cancers, Cancer Research UK,
https://www.cancerresearchuk.org/about-cancer/rare-cancers/what-rare-cancers-are

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