Biodiversität erhalten
Der Weltbiodiversitätsrat IPBES, eine UN-Organisation mit 132 Mitgliedsstaaten, hat gerade die erste weltweite Bewertung der Biodiversität seit 2005 vorgelegt – gewissermaßen ein globaler Öko-Check der Erde. Was die wichtigsten Erkenntnisse sind und was das für Bayer bedeutet, beantwortet Dr. Klaus Kunz, Head of Sustainability von Crop Science.
Herr Kunz, wie lautet Ihre Einschätzung zur Arbeit des Intergovernmental Science-Policy Platform on biodiversity and ecosystem services (IPBES)?
Der Bericht macht deutlich, dass die biologische Vielfalt dramatisch zurückgegangen ist. Gleichzeitig zeigt er, dass die Ursachen dafür äußerst vielfältig sind, angefangen beim Klimawandel, über die Verbreitung gebietsfremder Arten, die Lebensräume und Ökosysteme gefährden, bis hin zur immer intensiveren Landnutzung und Abholzung von Wäldern. In Ländern wie Deutschland gibt es zum Beispiel kaum noch Flächen, die nicht entweder landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich oder urban genutzt werden.
Vielfältige Ursachen heißt übersetzt, dass es für den Rückgang der biologischen Vielfalt nicht den einen Schuldigen gibt?
Einfache Antworten werden diesem komplexen Thema leider nicht gerecht. Und es geht auch nicht um einzelne Schuldige, sondern um gemeinsame Lösungen – denn jeder kann einen Beitrag leisten. Entscheidend wird deswegen sein, Biodiversität in der politischen und gesellschaftlichen Realität zu verankern. Sie muss fester Bestandteil von Geschäftsmodellen, Bebauungsplänen oder Fördermaßnahmen werden. Das ist sie momentan noch nicht. Der Lagebericht der IPBES ist deswegen, so meine Hoffnung, ein wichtiger Impuls. Auch für unsere Branche. Wir werden ihn deswegen in den kommenden Wochen genau analysieren, aber schon jetzt kann man festhalten, dass sich landwirtschaftliche Nutzung negativ auf die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt auswirkt. Das steht außer Frage.
Bevor wir hier tiefer einsteigen, was genau verstehen Sie unter Artenvielfalt?
Wenn wir in der Vergangenheit über Artenvielfalt und ihren Rückgang gesprochen haben, dann ging es ganz schnell um Bienen bzw. Insekten, aber das Thema ist viel breiter. Im Endeffekt ist Artenvielfalt die Diversität aller Organismen und Ökosysteme weltweit. All das hat die IPBES Studie unter die Lupe genommen.
Ist das Artensterben eine noch größere Herausforderung als der globale Klimawandel?
Beide Themen sind eng miteinander verknüpft. Biodiversität ist aber deutlich vielschichtiger. Vor diesem Hintergrund sind allgemeinverbindliche Ziele, wie etwa das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens, schwieriger zu definieren. Man kann also durchaus sagen, dass die Biodiversität die Menschheit vor noch komplexere Aufgaben stellt als der Klimawandel.
Was können aus Ihrer Sicht dennoch sinnvolle Ziele für mehr Artenvielfalt sein?
Hier kann ich nur für die Landwirtschaft sprechen. Vereinfacht gesagt geht es darum, die höheren Erträge zu erzielen, die wir für eine wachsende Weltbevölkerung brauchen, und gleichzeitig den Einsatz von Ressourcen zurückzufahren und damit mehr Platz für Biodiversität zu schaffen. Das bedeutet ganz klar auch weniger Chemie auf dem Feld – etwa in Form von weniger Stickstoff. Wir bei Bayer haben uns deswegen bereits verpflichtet, dass unsere zukünftigen Produkte einen signifikant niedrigeren Umwelteinfluss aufweisen. Konkret wollen wir den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Freisetzung von Klimagasen reduzieren. Diese Verpflichtungen werden wir in einem nächsten Schritt genau quantifizieren und anschließend jährlich messen.
Wenn wir ehrlich sind, sehen Teile der Öffentlichkeit große Konzerne wie Bayer, trotz solcher Verpflichtungen, eher als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung.
Ja, und das haben wir erkannt: Wir müssen viel besser erklären, was und wie wir zur Lösung beitragen, zum Beispiel durch Investitionen in Forschung. Wir haben auch schon viel erreicht. So sind die Mengen an Pflanzenschutzmitteln pro Hektar Land in den vergangenen 60 Jahren um ca. 90 Prozent gesunken. Aber wir müssen noch mehr tun. Der nächste Quantensprung steht jetzt mit der digitalen Landwirtschaft bevor, die vor allem zu einem viel präziseren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln führen wird. Und das ist nur ein Lösungsansatz.
Nennen Sie gerne noch weitere. Wir haben Platz.
Ein weiterer Ansatz ist die punktgenaue Bewässerung der Felder. Damit können wir beim Wassereinsatz, bei der Ertragssteigerung und sogar bei der Ausbringung von Pflanzenschutz enorme Effekte erzielen. Bayer hat hier eine vielversprechende Kooperation mit der israelischen Firma Netafim geschlossen. Großes Potenzial bietet darüber hinaus die Biotechnologie. Durch innovative Forschung stehen uns mit CRISPR/Cas und Genome Editing Methoden zur Verfügung, um Pflanzen robuster zu machen – etwa gegen Pilzkrankheiten oder Insektenbefall. In Brasilien haben wir bereits mit Intacta eine neue Sojasorte auf den Markt gebracht, die beißende Insekten abwehren kann. Damit entfällt der Insektizideinsatz gegen diese Raupen komplett. Gerade bei Flächenkulturen wie Soja haben solche Innovationen einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt.
Warum ist die Artenvielfalt für Bayer überhaupt so wichtig?
Biodiversität und damit auch Artenvielfalt ist unsere Lebensgrundlage – auf ihr beruht unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und sauberer Luft. Sie macht unsere Ökosysteme widerstandsfähiger für den Klimawandel. Als größtes Unternehmen der Agrarindustrie, als führender Hersteller von Pflanzenschutz und Saatgut, haben wir hier eine große Verantwortung. Und das global. Wir vergessen oft, dass zum Beispiel die Menschen in Afrika oder Asien vor ganz anderen Herausforderungen stehen. Dort wird die Bevölkerung in den nächsten Jahren explosionsartig wachsen. Gleichzeitig werden dort keine neuen Flächen zur Verfügung stehen können, denn wer Wälder rodet, der nimmt direkte Auswirkungen auf die Artenvielfalt in Kauf. Deshalb ist es neben der Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln und Klimagasen unsere Verpflichtung für mehr Biodiversität, Millionen Kleinbauern in Afrika und Asien mit modernen Lösungen in die Lage zu versetzen, ein einträgliches Einkommen zu erzielen, ohne dass die Artenvielfalt darrunter leidet.
Welche Barrieren müssen wir bei Bayer überwinden, um diese Verpflichtungen einzulösen? Brauchen wir neue Formen der Zusammenarbeit und Partnerschaft?
Die erste Barriere, die wir überwinden müssen, ist unsere eigene. Auch wir müssen neu denken, aber dabei sind wir schon deutlich vorangekommen. Vor zehn Jahren haben wir, wie alle unsere Konkurrenten auch, ein rein volumengetriebenes Geschäftsmodell verfolgt. Das heißt: Je mehr Pflanzenschutzmittel, desto besser. Das kann aber keine langfristige Perspektive mehr für Bayer sein. Wir müssen Produkte anbieten, die die Gesellschaft akzeptiert und die den Bauern gleichzeitig helfen. Wir können und wollen diese Lösungen aber nicht diktieren. Deshalb brauchen wir Partnerschaften auf technologischer wie auf politischer Ebene. Das gleiche gilt für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Wir brauchen – jenseits der traditionellen Muster – mehr gesellschaftliche Diskussion über Landwirtschaft, über ihren Beitrag zur Welternährung genauso wie über ihren Beitrag zur Artenvielfalt. An dieser Diskussion möchten wir teilnehmen. Wenn der neue Lagebericht des Weltbiodiversitätrats hierzu beiträgt, dann ist er ein voller Erfolg.