„Produktivität und Klimaschutz lassen sich vereinen!“
Hervorragende Ackerstandorte dürften nicht brach liegen. Zudem müsse man neue Züchtungstechniken nutzen. Wie Produktivität und Nachhaltigkeit zusammen gedacht werden können, erklärt Frank Terhorst, Head of Strategy & Sustainability bei der Bayer-Division Crop Science, im Interview mit topAgrar.
Bis zum 24.2.2022 waren Extensivierung und der „Ausstieg aus dem chemischen Pflanzenschutz“ die beherrschenden Themen. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und den leergefegten Regalen ist die Versorgungssicherheit in den Fokus gerückt. Wir sprachen mit Frank Terhorst darüber. Er ist „weltweiter Leiter für Strategie und Nachhaltigkeit von Bayer Crop Science“.
top agrar: Herr Terhorst, ist das Thema Nachhaltigkeit jetzt durch? Oder sichern nachhaltigere und resilientere Produktionsweisen sogar unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln?
Terhorst: Zunächst einmal ist die Situation in der Ukraine eine absolute Katastrophe. Der Angriff Russlands hat die ohnehin schon angespannte globale Nahrungsmittelkrise weiter angefacht und verschärft. Das erfordert nun ein unmittelbares Handeln.
Aus unserer Sicht bedeuten Produktivitätssteigerungen aber nicht, dass dabei die Nachhaltigkeit auf der Strecke bleibt. Wenn uns der Krieg nun eines lehrt, dann ist es die dringende Notwendigkeit, unsere Nahrungs- und Lebensmittelsysteme zu transformieren. Fakt ist, dass wir mit weniger Ressourcen in Zukunft mehr Nahrungsmittel produzieren müssen – und das können wir nur über mehr Innovation erreichen.
Deutschland redet gerne Zielkonflikte herbei
Es könnten sich Zielkonflikte zwischen Produktivität, Biodiversität und Klimaschutz ergeben. Wie lassen sich diese aus Sicht von Bayer am besten auflösen?
Terhorst: Das lässt sich mit einem Satz sagen: Am besten mit einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaft. Gerade hier in Deutschland werden oft Zielkonflikte herbeigeredet, die wir gar nicht als Konflikte empfinden. Denn aus unserer Sicht sind Produktivität, Biodiversität und Klimaschutz vereinbar, wenn wir denn die innovativen Lösungen und Werkzeuge, die wir bereits haben, auch für Europa weiterentwickeln und zulassen. Aus meiner Sicht ist dafür in Europa auch politisch noch viel Luft nach oben.
Es kann z.B. nicht sein, dass auf guten und sehr guten Standorten Stilllegungen forciert werden. Viel besser sollte man diese Flächen für eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion nutzen.
Wichtig ist auch, neue Technologien und Ansätze wie z.B. neue Züchtungsmethoden konsequent anwenden zu dürfen, um gesündere und robustere Pflanzen zu erhalten. Zudem müssen digitale Möglichkeiten und Applikationsmethoden weiterentwickelt werden, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln fokussierter und zielgerichteter durchführen zu können.
Natürlich gehört zu den Lösungen auch, dass wir Methoden aus dem ökologischen Landbau in die konventionelle Landwirtschaft übernehmen, wie z.B. gesunde Fruchtfolgen oder der Einsatz von biologischen Produkten. Auch das muss ein Bestandteil einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaft sein. Kürzlich haben wir einen neuen Rahmenvertrag mit Ginkgo Bioworks abgeschlossen, eines der wichtigsten Biotechnologieunternehmen. Zusammen forschen wir an Biostimulanzien, Biologicals und stickstofffixierenden Mikroben. Somit investieren wir auf allen Ebenen. Wenn wir diese Technologien zusammenbringen, entstehen keine Zielkonflikte.
Neuer Schub für Gentechnik?
Kurz zu den neuen Züchtungsmethoden wie z.B. Crispr/Cas, die noch immer unter das Gentechnikrecht fallen – wo steht die Diskussion zurzeit?
Terhorst: Im Moment bewegt sich viel. Ich würde mir wünschen, dass die Politik nun schnell zu einem Konsens kommt. Zurzeit bin ich zuversichtlicher als noch vor zwei Jahren, dass die neuen Züchtungstechnologien auch für Europa als Notwendigkeit und wichtiges Hilfsmittel angesehen werden – dafür werben wir in Deutschland, bei der europäischen Kommission und den anderen Mitgliedstaaten.
Im Rahmen der Farm-to-Fork-Strategie und damit im Green Deal steht im nächsten Jahr eine wichtige Entscheidung zu diesem Thema an. In der Diskussion muss man den Mut haben, eine fortschrittsorientierte Agrarwende einzuleiten.
Viele politische Kräfte und Parteien wollen die übergreifenden Ziele des EU Green Deals unterstützen, um zu einer nachhaltigeren, umwelt- und ressourcenschonenderen Landwirtschaft zu kommen. Unsere Überzeugung ist, dass es dazu Zukunftstechnologien braucht, die das sicherstellen können. Das Verbieten von Technologien ist aus meiner Sicht sicherlich keine Lösung.
Deutschland muss für die Welt produzieren, nicht nur für Europa
Lange war ein Selbstversorgungsgrad von maximal 100 % das Mantra. Ist es aus Ihrer Sicht nicht notwendig, dass auch Deutschland sich stärker an der Sicherung der Welternährung beteiligt?
Terhorst: Europa und Deutschland müssen meiner Ansicht nach möglichst schnell die Priorität erkennen, dass sie einen Beitrag zur Füllung des globalen Warenkorbs leisten müssen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum nur die Selbstversorgung von Europa das Ziel sein soll, wobei Deutschland in Summe zurzeit sogar immer noch ein Nettoimporteur ist. Wichtig ist, dass die deutsche Politik die Notwendigkeit und Verpflichtung erkennt, dass wir, die in einer der besten agronomischen Zonen weltweit wirtschaften, einen signifikanten Beitrag zur Welternährung liefern müssen.
Diskutiert werden muss sicherlich in diesem Zusammenhang die Reduzierung des chemischen Pflanzenschutzes um 50 % im Rahmen des EU Green Deals. Aus meiner Sicht führt das an dem eigentlichen Problem vorbei. Denn es geht darum, dass wir die Belastung der Umwelt durch den chemischen Pflanzenschutz weiter reduzieren. Das kann man aber sehr viel intelligenter tun, indem wir darauf achten, dass neue und modernere Mittel einen deutlich geringeren Einfluss auf die Umwelt haben.
Dazu gibt es bereits Kriterien, die man anlegen kann. Wir haben uns z.B. vorgenommen, die Umweltauswirkungen unserer Pflanzenschutzmittel pro Hektar bis 2030 um 30 % zu reduzieren. Die Universität in Kopenhagen hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Umweltbelastung anhand eines Indikators konkret messen lässt. Danach wollen wir uns richten.
Noch kurz zu den Flächenstilllegungen: Wenn wir allein diese 4 % heute nutzen würden, um in der Notsituation des Krieges z.B. Getreide zu produzieren, dann könnten wir damit rund 10 % der Menge ausgleichen, die aus der Ukraine momentan nicht exportiert werden kann. Den Beitrag dieser Maßnahme sollte man nicht kleinreden, wie man es in der politischen Debatte zurzeit leider oft tut.
Das vollständige Interview mit Frank Terhorst erschien bei "top agrar online" und ist im Original hier nachzulesen.