Wie CRISPR unsere Welt revolutionieren könnte
CRISPR hat sich binnen weniger Jahre zum beliebtesten Werkzeug der Genom-Editierung entwickelt. Wissenschaftler aller Fachrichtungen setzen die Genschere ein – von der Medizin über die Mikrobiologie bis hin zur Landwirtschaft. Mit dem von den Nobelpreisträgerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entwickelten Verfahren kann DNA schnell und äußerst präzise verändert werden. Wir haben mit Dr. Jürgen Eckhardt, Leiter von Leaps by Bayer, darüber gesprochen, wie dieses Werkzeug unsere Gesundheit und Ernährung revolutionieren könnte.
Jürgen, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna haben 2020 den Nobelpreis in Chemie für die Entwicklung der CRISPR-Technologie zur Genom-Editierung erhalten. Wie war Ihre Reaktion?
Das ist eine tolle Nachricht und eine verdiente Auszeichnung für die Leistungen zweier herausragender Wissenschaftlerinnen. CRISPR revolutioniert die Biotechnologie und ist für die Wissenschaft, wie ich es nennen würde, ein „Game Changer“. Die Arbeit von Charpentier und Doudna hat nicht nur die Genforschung verändert, sondern auch große Hoffnungen in vielen Bereichen geweckt, von der Medizin bis zur Landwirtschaft.
Sie eröffnet neue, spannende Möglichkeiten, unsere Gesundheit und Ernährung radikal zu verbessern. CRISPR bietet ein enormes Potenzial für die Menschheit – von der Bekämpfung und Behandlung von Krankheiten bis zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. Ich erwarte, dass diese Technologie in den nächsten Jahren viele Veränderungen in diesen Bereichen anstoßen wird.
Was ist CRISPR? Und wie unterscheidet sich die Technologie von anderen Verfahren der Genom-Editierung?
Das Besondere an CRISPR ist die Präzision – es schneidet gezielt die DNA wie eine winzige Schere. Wir können damit in die DNA einer Zelle eingreifen, so als würden wir etwa ein Textdokument bearbeiten. So können Wissenschaftler zum Beispiel Gene reparieren. In jedem Gen steckt der Bauplan für Eiweißmoleküle, die jeweils eine spezielle Funktion ausüben. Wenn aber der genetische Code fehlerhaft ist, resultiert daraus auch ein fehlerhaftes Protein, was wiederum zu Erkrankungen führen kann. Mit der CRISPR-Technologie haben die Forscher jetzt ein Werkzeug in der Hand, um fehlerhafte Gensequenzen zu finden, zu entfernen und gesunde Abschnitte einzufügen. Verglichen mit anderen gentechnischen Werkzeugen ist CRISPR präzise und extrem vielseitig. Mit CRISPR können wir das Erbgut sämtlicher Organismen – von Weizen über Mücken bis hin zum Menschen – präzise und kostengünstig modifizieren. Es gibt Tausende Anwendungen für CRISPR.
Welche Anwendungsmöglichkeiten von CRISPR halten Sie für besonders spannend?
Diese Technologie wird die Medizin revolutionieren. Ich bin überzeugt, dass wir dank „Gene Editing“ eines Tages in der Lage sein werden, Krankheiten ein für alle Mal zu heilen. Wir von Leaps by Bayer investieren in die Entwicklung CRISPR-basierter Arzneimittel und Technologien, mit denen wir Patienten nicht mehr behandeln, sondern heilen. Ein Beispiel ist eGenesis: Das Start-up setzt bahnbrechende Gentechnologien ein, um den globalen Organmangel zu mindern und für den Menschen kompatible und einsatzfähige Organe zu entwickeln. Weltweit warten schätzungsweise 1,5 bis 2 Millionen Menschen auf ein Spenderorgan. Nur drei von 1.000 Menschen sterben so, dass ihre Organe gespendet werden können. Wir glauben, dass eGenesis den gesamten Markt für Organtransplantationen revolutionieren kann. Damit könnten wir potenziell Menschenleben in einem Maße retten, wie wir es vor wenigen Jahren noch nicht für möglich gehalten hätten.
Die stärksten Impulse wird die Genom-Editierung in den nächsten Jahren allerdings in der Landwirtschaft setzen. Der ökologische Fußabdruck der Landwirtschaft muss sich verringern und die Landwirtschaft muss sich an den Klimawandel anpassen. CRISPR könnte wesentlich zur Nachhaltigkeit der Landwirtschaft beitragen. Es könnte nicht nur Sorten mit höherer Ertragskraft hervorbringen, sondern auch den Nährstoffgehalt und die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegenüber Trockenheit und Schädlingen erhöhen, sodass die Pflanzen besser mit dem Klimawandel zurechtkommen.
Die Forschung in der Genom-Editierung macht große Sprünge. Was muss die Öffentlichkeit wissen, um Schritt zu halten?
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass CRISPR eine Technologie ist, die aus der Grundlagenforschung stammt, und dass diese Forschung für das Wohl unseres Planeten und unsere Gesundheit extrem wichtig ist. Sämtliche Entdeckungen, ob in der Biologie, der Chemie, der Physik oder anderen Fachgebieten, haben ihren Ursprung in dieser Art von Forschung.
Auch wenn CRISPR helfen kann, einige der größten Probleme der Menschheit zu lösen, ist es wichtig, realistisch zu bleiben. Die Wissenschaftler stehen erst ganz am Anfang ihrer Suche, wie man mit CRISPR und anderen Verfahren der Genom-Editierung die Welt verbessern kann. Es müssen erst noch viele Fortschritte erzielt werden.
Außerdem ist die Genom-Editierung zwar ein sehr effektives Werkzeug, aber kein Allheilmittel. Trotzdem könnte sie uns unserer Vision „Health for all, hunger for none“ einen großen Schritt näherbringen.
Es gibt aber auch kritische Stimmen.
Die Fähigkeit, die DNA – den Quellcode des Lebens – zu ändern, wirft natürlich viele ethische Fragen und Bedenken auf. Wenn wir jedoch ganz darauf verzichten, können wir die konkreten Vorteile, die diese Technologie bringen kann, nicht nutzen.
Ich hoffe, dass der Nobelpreis für Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna eine breite Diskussion über die Chancen der Genom-Editierung anregen wird. Gerade in Europa müssen wir Bedingungen und rechtliche Vorschriften schaffen, die den Einsatz solcher Technologien und damit letzten Endes bahnbrechende Erfindungen ermöglichen. Oder wir verpassen Chancen, die andere für sich zu nutzen wissen.
Wussten Sie ...?
CRISPR im Kampf gegen COVID-19
CRISPR wird auch zur Bekämpfung von COVID-19 eingesetzt: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat eine Notfallzulassung für einen auf CRISPR basierten COVID-19-Test erteilt, der in weniger als einer Stunde ein Ergebnis liefert. Wissenschaftler arbeiten zurzeit auch an einer Testversion für zu Hause.
Forscher der Universität Stanford haben zudem eine CRISPR-basierte Behandlung entwickelt, mit der das Virus in Versuchen zu 90 Prozent unschädlich gemacht werden konnte. Doch wie bei allen anderen potenziellen COVID-19-Therapien sind viele rechtliche Schritte notwendig, bevor eine Zulassung erteilt und die Therapie beim Patienten angewendet werden kann.
Über Leaps by Bayer
Leaps by Bayer nutzt Impact Investments, um Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit in den Bereichen Gesundheit und Landwirtschaft zu finden.
Die 10 „Leaps“
- Heilung genetisch bedingter Krankheiten
- Nachhaltige Verfügbarkeit von Spenderorganen schaffen
- Autoimmunerkrankungen aufhalten
- Zerstörtes Gewebe ersetzen/li>
- Krebs verhindern und heilen
- Reduzierung der Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft
- Mithilfe des Mikrobioms heilen
- Alternative, nachhaltige Proteinquellen erschließen
- Krankheitsübertragung durch Insekten stoppen
- Revolutionäre digitale Konzepte entwickeln
Jürgen Eckhardt ist studierter Mediziner und begann seine Karriere als Radiologe am Universitätsklinikum Basel in der Schweiz, bevor er seinen MBA an der Wirtschaftshochschule INSEAD in Frankreich machte. In den Folgejahren arbeitete er bei der Unternehmensberatung McKinsey, wo er Pharmaunternehmen in Europa und den USA beriet, und investierte im Venture-Capital-Bereich in junge Firmen mit neuen Technologien. Ab 2016 war Eckhardt für die Investitionen von Leaps by Bayer verantwortlich und ist heute Leiter von Leaps. Eckhardt ist außerdem Vorstandsmitglied von BlueRock, Joyn Bio, Dewpoint, Khloris, Oerth Bio, Immunitas, eGenesis und Triumvira.