COVID-19

Wie viel hat die Wissenschaft über Long-COVID gelernt?

Long COVID

Nach der ersten COVID-19-Welle begannen die Menschen, Anzeichen von „Long-COVID“ zu beschreiben – eine Reihe von chronischen Symptomen mit schwer zu lokalisierenden Ursachen. Frühe Untersuchungen ergaben, dass durch das Virus verursachte Langzeitkomplikationen verheerende Auswirkungen auf Herz und Lunge haben können. Mehr als zwei Jahre nach der Pandemie zeigen Studien, dass Long-COVID ein systemisches Phänomen ist, das eine Vielzahl von Problemen im gesamten Körper auslöst.

Der Begriff „Long-COVID“ wurde in den ersten Monaten der Pandemie von einer Patientin in den sozialen Medien geprägt, um den anhaltenden und komplexen Verlauf ihrer Erkrankung zu beschreiben.1 Heute ist es schon eine ausgesprochen häufige Erfahrung. Es wird geschätzt, dass zwischen 30 und 80 Prozent der Menschen, die von COVID-19 genesen sind, nach wie vor in den Monaten nach der akuten Infektion neue, wiederkehrende oder anhaltende Gesundheitsprobleme wie Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Brustschmerzen und „Gehirnnebel“ haben.2,3 Die Prognosen (und offiziellen Definitionen) für Long-COVID entwickeln sich weiter, da Forscher weltweit nach Hinweisen auf die zugrunde liegenden Ursachen und lang anhaltenden Auswirkungen suchen.

Langfristige Auswirkungen von COVID-19 auf das Herz

Bevor COVID-19 auftrat, war bekannt, dass menschliche Coronaviren, die „normale Erkältungen“ auslösen, leichte bis mittelschwere Atemwegserkrankungen verursachen können. Eine Besonderheit von COVID-19 ist jedoch der Schweregrad dieser Atemwegsattacken bei vielen Patienten (in der Lunge als „Zytokinsturm“ bezeichnet) und das Potenzial des Virus, das Herz direkt oder indirekt zu schädigen – auch bei asymptomatischen Patienten und sogar bei jungen gesunden Menschen und Sportlern. Frühe Studien lieferten Hinweise darauf, dass eine COVID-19-Infektion Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen), Myokarditis (Herzentzündung), Herzstillstand und plötzlichen Tod verursachen kann.4,5


Neuere Daten belegen, dass  Long-COVID ein unabhängiger Risikofaktor für Kreislaufschäden ist, die zu Blutgerinnseln führen. Studien zeigen, dass COVID-19-Patienten in den Monaten nach ihrer Erkrankung ein signifikant höheres Risiko für tiefe Venenthrombosen oder TVT (Blutgerinnsel im Bein), Lungenembolie (ein Blutgerinnsel in der Lunge) und Blutungsereignisse haben können. Dieses erhöhte Risiko  von Ereignissen könnte auf mehrere durch die Infektion verursachte Veränderungen zurückzuführen sein, wie z. B. Entzündungen und die Aktivierung des natürlichen Blutgerinnungsprozesses des Körpers nach einer Verletzung.6
 

  1. How much has science learned about long COVID - DE

     

Long-COVID und neuropsychiatrische Auswirkungen

In einer in The Lancet veröffentlichten richtungsweisenden Studie wurden bei zehn der elf Organsysteme über 200 Symptome von Long-COVID identifiziert.5 Die neuropsychiatrischen Symptome zählten zu den Symptomen, von denen am häufigsten berichtetet wurde. , Die Betroffenen litten an einer Vielzahl von Problemen in den verschiedensten Bereichen, darunter: Emotionen und Stimmung (Angst, Reizbarkeit, Depression), kognitive Funktionen (Gehirnnebel, Probleme mit der  Aufmerksamkeit, Schwierigkeiten beim Denken), sensomotorische Symptome (Schwindel, Zittern, Tinnitus), kurz- und langfristiger Gedächtnisverlust, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Halluzinationen.7


Forscher versuchen, den Zusammenhang zwischen Long-COVID und neurologischer Beeinträchtigung besser zu verstehen. Ein Verursacher kann ein Protein sein, das bekanntlich bei Depressionen und anderen Erkrankungen eine Rolle spielt (ACE2). Frühe Studien legen nahe, dass sich das Coronavirus an dieses Protein einhakt, um in verschiedene Zellen im gesamten Körper zu gelangen.8 Entzündungen und eingeschränkte Durchblutung des Gehirns können auch bei Menschen mit Long-COVID kognitive Probleme verursachen.9,10

Auswirkungen von Long-COVID auf das Immunsystem

Bei vielen Menschen, die sich mit COVID-19 infizieren, kämpft das Virus gegen ihr Immunsystem, was mit der Produktion von Antikörpern und scheinbar einem „Waffenstillstand“ endet. Bei Menschen, die an Long-COVID leiden, kann der starke Immunangriff jedoch eine Entzündung hervorrufen, die ruhende Viren im Körper (wie Epstein-Barr)11 reaktiviert oder eine übermäßige Produktion von Autoantikörpern auslöst, die den Körper selbst angreifen.12 Dies kann zu einer verstärkten Reaktion bei Allergien, neuen anaphylaktischen Reaktionen, Gürtelrose und anderen ernsten Erkrankungen führen.

Vorhersage von und Schutz vor Long-COVID


Die vorhandenen Impfstoffe senken effektiv das Risiko von schweren Infektionen, Krankenhauseinweisungen und Todesfällen aufgrund von COVID-19; die Übertragung findet jedoch immer noch weltweit statt. Während die Wissenschaft im Eiltempo forscht, um mit neuen Varianten und klinischen Forschungsdaten Schritt zu halten, wird die Diskussion darüber fortgesetzt, welche und wie viele Menschen wahrscheinlich an Long-COVID erkranken werden.    


Aktuelle Studien zeigen, dass es für Menschen mit vorhergehenden Krankenhausaufenthalten, Typ-2-Diabetes und einem höheren Body-Mass-Index wahrscheinlicher ist, unter Langzeitkomplikationen zu leiden.2 Die Symptome von Long-COVID sind zahlreich und können sich hinter einer Vielzahl von Erkrankungen verbergen, die zu Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Brustschmerzen, Kurzatmigkeit, kognitiven Veränderungen usw. führen können. Dies bedeutet, dass es immer wieder zu fehldiagnostizierten oder heruntergespielten Anzeichen führen kann. Insbesondere bei kardiovaskulären und respiratorischen Anomalien ist eine frühzeitige Diagnose entscheidend, um irreversible Schäden zu verhindern.


Experten raten dazu, dass Menschen, die unter schweren Symptomen – oder sogar einer Reihe leichterer Symptome – leiden, sich in ärztliche Behandlung begeben. Viele Krankenhaussysteme richten multidisziplinäre Post-COVID-Kliniken ein, um die wachsende Zahl von Patienten mit anhaltenden Gesundheitsproblemen zu bewältigen.13,14 


Es gibt weder Heilmittel noch eine ursächliche Behandlung.  Der aktuelle Ansatz zur Behandlung von Long-COVID konzentriert sich auf die Behandlung spezifischer Symptome und Erkrankungen. Es besteht Einigkeit darüber, dass es wichtig ist, die Genesung nicht zu überstürzen und Aktivitäten erst nach und nach wieder aufzunehmen. Es wird viele Jahre dauern, bis sämtliche langfristigen Auswirkungen der Pandemie vollständig verstanden sind. Daher ist es weiterhin wichtig, mit Impfstoffen und Boostern auf dem neuesten Stand zu bleiben sowie Maßnahmen zur Minimierung des Coronavirus, wie sorgfältige Hygiene, zu ergreifen.


Quellen:
1Callard F., Perego E. How and why patients made Long Covid. Soc Sci Med (2021). doi:10.1016/j.socscimed.2020.113426  

2Yoo, S.M., Liu, T.C., Motwani, Y. et al. Factors Associated with Post-Acute Sequelae of SARS-CoV-2 (PASC) After Diagnosis of Symptomatic COVID-19 in the Inpatient and Outpatient Setting in a Diverse Cohort. J Gen Intern Med (2022). https://doi.org/10.1007/s11606-022-07523-3 
3Cabrera Martimbianco A.L., Pacheco R.L., Bagattini Â.M., Riera R. Frequency, signs and symptoms, and criteria adopted for long COVID-19: A systematic review. Int J Clin Pract (2021) doi: 10.1111/ijcp.14357. Epub 2021 Jun 2. PMID: 33977626; PMCID: PMC8236920
4Hu B, Huang S, Yin L. The cytokine storm and COVID-19. J Med Virol. 2021 Jan;93(1):250-256. doi: 10.1002/jmv.26232. Epub 2020 Sep 30. PMID: 32592501; PMCID: PMC7361342.
5Topol EJ. COVID-19 can affect the heart. Science. 2020; 370: 408– 9. https://doi.org/10.1126/science.abe2813.
6 Fors Connolly, A.M. et al. Risks of deep vein thrombosis, pulmonary embolism, and bleeding after covid-19: nationwide self-controlled cases series and matched cohort study, BMJ (2022); 377:e069590 doi: https://doi.org/10.1136/bmj-2021-069590 
7Davis, H.E., Assafa, G.S., McCorkella, L. et al. Characterizing long COVID in an international cohort: 7 months of symptoms and their impact. Lancet (2021). https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S2589-5370%2821%2900299-6 
8Quarleri J., Delpino M.V. SARS-CoV-2 interacts with renin-angiotensin system: impact on the central nervous system in elderly patients. Geroscience (2022). https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/35157210
9Fernández-Castañeda, A., Lu, P., Geraghty, A.C. et al. Mild respiratory SARS-CoV-2 infection can cause multi-lineage cellular dysregulation and myelin loss in the brain. bioRxiv (2022). doi: https://doi.org/10.1101/2022.01.07.475453
10Novak, P., Mukerji, S.S., Alabsi, H.S., et al. Multisystem Involvement in Post-Acute Sequelae of Coronavirus Disease 19. Ann Neurol (2022). https://doi.org/10.1002/ana.26286
11Su, J., Yuan, D., Chen, D.G., et al. Multiple early factors anticipate post-acute COVID-19 sequelae. Cell (2022).  https://doi.org/10.1016/j.cell.2022.01.014
12Bastard, P., Rosen, L., Zhang, Q., et al. Autoantibodies against type I IFNs in patients with life-threatening COVID-19. Science (2020). doi: 10.1126/science.abd4585
13Baraniuk, C. Covid-19: How Europe is approaching long covid. BMJ (2022). doi:10.1136/bmj.o158 
14Carbajal, E., Gleeson, C. 66 hospitals, health systems that have launched post-COVID-19 clinics. Becker’s Hospital Review (2022). https://www.beckershospitalreview.com/patient-safety-outcomes/13-hospitals-health-systems-that-have-launched-post-covid-19-clinics.html

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