Zwischen I.G. Farben-Prozess, vorzeitiger Entlassung und Neugründung (1945–1951)
Zum Ende des Krieges kommt es auch am Niederrhein zur Befreiung durch amerikanische Truppen. Kurz darauf übernimmt die britische Militärregierung die vollständige Kontrolle über die Niederrheinwerke. Im November 1945 beschlagnahmen die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die I.G. Farben. Die Gemeinschaft wird aufgelöst, ihr Vermögen für Reparationsansprüche zur Verfügung gestellt.
Im August 1947 beginnen im Rahmen der Nürnberger Prozesse auch die Verhandlungen gegen Verantwortliche der I.G. Farben. Es ist ein Novum: Zum ersten Mal wird – genau wie in den parallelen Flick und Krupp-Prozessen – die ethische und rechtliche Verantwortung von Wirtschaftsführern für Krieg und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gerichtlich verhandelt. Insgesamt müssen sich 23 leitende Angestellte der I.G. Farben vor den Nürnberger Militärtribunalen verantworten.
Am 30. Juli 1948 werden 13 der Angeklagten zu Gefängnisstrafen verurteilt, während die restlichen zehn auf Grund der Beweislage freigesprochen werden. Kein Vertreter der I.G. Farben gibt vor Gericht eine Bereitschaft zu erkennen, sich den eigenen Verstrickungen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen. Sämtliche zu Haftstrafen verurteilten Angeklagten werden später vorzeitig aus der Haft entlassen. Die meisten sind innerhalb kürzester Zeit wieder in leitenden Positionen in ihren Unternehmen tätig, darunter auch Fritz ter Meer, der zuvor wegen „Plünderung und Raubs“ sowie „Massenmords und Versklavung“ zu sieben Jahren Haft verurteilt wird.
Fritz ter Meer und der Umgang mit Verantwortung
Fritz ter Meer begründet 1947 auf Schloss Kransberg im Taunus, in dem die Alliierten ihn vor dem Prozess mit anderen I.G.-Verantwortlichen internieren, ein Narrativ zur Haltung und zu den Handlungen der Verantwortlichen der I.G. Farben. Sie ist als sogenannte „Kransberger Denkschrift“ erhalten. Das Leiden der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wird in diesem Dokument nicht erwähnt, ebenso wenig die strategische Rolle der I.G. Farben in der NS-Zeit. Stattdessen zeichnet die Denkschrift ein Bild von friedlichen, patriotischen Geschäftsleuten und Wissenschaftlern, die selbst Opfer des nationalsozialistischen Regimes wurden.
Zwischen 1956 und 1964 ist der Chemiker und Unternehmer Fritz ter Meer Aufsichtsratsvorsitzender der Farbenfabriken Bayer AG und Aufsichtsrat in mehreren Unternehmen.
Neugründung
Die Engländer belassen Ulrich Haberland (1900–1961), der die Betriebsgemeinschaft Niederrhein seit 1943 leitet, auf seinem Posten. Sehr bald erlauben sie auch die Wiederaufnahme der Produktion, weil die Fabrikate der chemischen Industrie für die Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar sind.
Haberland arbeitet in den folgenden Jahren daran, ein wettbewerbsfähiges Unternehmen aufzubauen. Zunächst planen die alliierten Militärregierungen die Aufgliederung der I.G. in möglichst viele kleine Unternehmen, die aber auf dem Weltmarkt und selbst in Deutschland kaum lebensfähig gewesen wären. Diese Erkenntnis setzt sich schließlich auch bei den Alliierten durch. So entstehen auf der Grundlage der alliierten Gesetzgebung in der Bundesrepublik zwölf konkurrenzfähige neue Unternehmen.
Darunter befindet sich auch die Farbenfabriken Bayer AG, die am 19. Dezember 1951 neu gegründet wird. Ihr werden die Werke Leverkusen, Dormagen, Elberfeld und Uerdingen zugeordnet. Außerdem erhält Bayer als Tochtergesellschaft die 1952 neu gegründete Agfa, Aktiengesellschaft für Fotofabrikation.